Pieta Zeichnungen

Ich hatte mir vorgenommen, Zeichnungen zu verkaufen. Als erstes kaufte ich mir einen Block. Da ich wußte, daß, wenn ich einfach drauflos zeichnete, unheimlich viele Blätter im Papierkorb landen würden, nummerierte ich sie alle durch. Der Block sollte ganz bleiben und das spornte mich an, keine Zeichnung vorschnell aufzugeben.

Am Ende fehlte kein Blatt, aber verkaufen konnte ich davon nichts. Ich brauchte ein Motiv. In der Mitte des Blockes hatte ich eine Pieta gezeichnet. Sie war mit dem Stift in der Hand gekommen. Die Pieta ist ein praktisches Motiv für eine Serie, dachte ich. Mit ihr habe ich für jede Zeichnung eine Grundkonstruktion vor Augen.

Mein neuer Block war ein Stapel eingepacktes Papier älteren Datums, das ich im Papierwaren-Geschäft in der Argentinierstraße (gleich hinter der Karlskirche) geschenkt bekommen hatte. Dort gab es einen Tisch, an den sich jemand setzen konnte, der einen Füller kaufen und ausprobieren wollte. Frauen, Fahrräder und Füllfederhalter seien die drei wichtigen F im Leben, sagte die Verkäuferin zum Abschied zu mir.

Da ich weder einen religiösen noch sonst irgend einen Anspruch an mein Motiv, die Pieta, hatte, konnte ich ihr auf jedem Blatt immer wieder neu begegnen. Das war schön und bereitete mir Freude. Die Serie wuchs. Meine Kreide-Stifte wurden immer kleiner. Die Pieta und ich waren ein Super-Team.

Freudvolles Vesperbild, um 1300
Freudvolles Vesperbild, um 1300

Irgendwann ging mir das Papier aus. Ich zeichnete noch ein bißchen weiter. Das sind die auf dem weißen Papier. Aber ich merkte auch, daß ich keine mehr zeichnen kann.

Anschließend begann ich einen Text über meine Zeichnungen zu schreiben. Anscheinend traute ich ihnen nicht zu, daß sie für sich selbst sprechen können. Am Ende klang, was ich geschrieben hatte, nicht verkehrt, jedoch hörte ich meine innere Stimme rufen: kalt, ganz kalt!

Mein Bruder lud mich ein, nach Berlin zurückzukommen bzw. erzählte er mir von einer Wohnung, in die ich ziehen könnte. ... Back in town öffnete ich in der Amerika-Gedenk-Bibliothek ein Buch über die Anfänge der Pieta-Darstellung. Beim Anblick des darin abgebildeten sogenannten „Freudvollen Vesperbildes“ fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Nicht eine Sekunde lang kam mir Marias Lächeln seltsam vor. So eine Pieta war nicht Szene, sondern Sinnbild! Und das hat mich berührt. Ich hatte mein Motiv im Motiv entdeckt.

Collage

Mit einer Pieta aus dem 14. Jh.
Mit einer Pieta aus dem 14. Jh.

Neue Pieta Zeichnungen

Noch eine Pieta

Daniela Hammer-Tugendhat / Notiz zur Pieta von Anne Wundrak

Anne Wundraks Pieta ist von irreduzibler Einfachheit. Einfach, aber radikal in der Aussage. Kein beweinenswertes Opfer, keine klagende Mutter. Kein Angebot zur rührseligen Einfühlung. Kein Christus, kein Sohn, kein Held, kein Opfer. Nur ein Kreuz. Das Kreuz steht für den Kreuzestod, das Ende. Die ‚Mutter’ nicht mütterlich mit Helm. Hinweis auf die Tötenden. Nicht mehr der Gegensatz von kämpferischem Held und trauernder Mutter, sondern Hinweis auf die Verbindung von Soldat und Mutter. Unerbittlich.